AUS DER GESCHICHTE DER REGION

Nr. 10 / X

JUNGSTEINZEIT
IN AU AM LEITHABERGE

Die Kreisgrabenanlage

Zweitausend Jahre vor Stonehenge wurden in Mitteleuropa bereits monumentale Bauwerke errichtet, die aus mehreren kreisförmigen Gräben und einem von Holzpalisaden umschlossenen Innenraum bestanden. Bis zu vier Erdbrücken dienten als Zugänge, über die man durch Öffnungen in den Palisaden in das blickdicht abgeschlossene Zentrum gelangte.

Die Funktion dieser zwischen 4800 und 4500 v. Chr. von den Menschen der mittleren Jungsteinzeit unter großen Anstrengungen und lediglich mit Holz-, Geweih- sowie Steinwerkzeugen errichteten »Kreisgrabenanlagen« wird von der archäologischen Forschung nach wie vor kontrovers diskutiert. Je nach Standpunkt werden sie als politische oder kulturelle Versammlungs- und Veranstaltungsorte, Kalenderbauten, astronomische Beobachtungsplätze oder Sonnentempel gedeutet.

Bemerkenswert ist ihre Verteilung, da die meisten Kreisgrabenanlagen im niederösterreichischen Weinviertel sowie in Südmähren und der Westslowakei zu finden sind. Darüber hinaus gibt es sie aber auch im südlichen Niederösterreich und im Burgenland sowie in Bayern, Sachsen, Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn.

Die am Fuß des Leithagebirges, an der burgenländischen Grenze, liegende Kreisgrabenanlage von Au wurde im Rahmen einer archäologischen Befliegung entdeckt und erstreckt sich über eine Fläche von 10.000 qm. Sie besitzt mit drei Gräben und vier Zugängen alle Merkmale eines ›klassischen‹, aufwändig gestalteten Kreisgrabens. Unregelmäßigkeiten bei den kreisförmig ausgehobenen Gräben werden als Hinweise auf Bauabschnitte unabhängig arbeitender Gruppen interpretiert, wobei – wie bei anderen, archäologisch untersuchten Anlagen nachgewiesen – ein durchgehender Zusammenschluss der einzelnen Segmente an der Grabensohle wegen unterschiedlicher Tiefen offenbar unterblieb. Die durch geophysikalische Messungen entdeckten Hausgrundrisse in unmittelbarer Nähe lassen erkennen, dass der Kreisgraben von Au nicht abseits, sondern inmitten einer Siedlung für eine Vielzahl heute kaum mehr nachvollziehbarer Handlungen erbaut worden war.

Etwa 300 Jahre nach Beginn des »Kreisgrabenphänomens« war es auch schon wieder zu Ende. Während die Häuser der Siedlungen weiterhin bestanden, wurden um 4500 v. Chr. die über Generationen mühsam instand gehaltenen Gräben zugeschüttet. Funde aus der frühen Bronzezeit (ca. 2000 v. Chr.) in den obersten Verfüllungsschichten lassen jedoch vermuten, dass die Gräben noch Jahrtausende später im Gelände zu erkennen waren.

Foto: W. Neubauer

Foto: Mapire

Die Kreisgrabenanlage von Au liegt – wie viele andere auch – auf einem leicht geneigten Hang. Den jungsteinzeitlichen Menschen war es offenbar kein Anliegen, die Erdwerke in ebenem Gelände zu errichten, obwohl die Gräben nach Regenfällen wohl ständig ausgeputzt und erneuert werden mussten.

Foto: Universität Wien, Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie – Luftbildarchiv

Den Großteil des Jahres ist die Anlage von Au unsichtbar im Boden verborgen. Die Grabenverfüllungen unterscheiden sich jedoch vom ungestörten Boden der Umgebung durch einen geringfügig besseren Wasserhaushalt, eine Besonderheit, die sich in einem üppigeren Wachstum der Pflanzen äußert.

Foto: W. Neubauer

Die Kreisgrabenanlage von Au in der magnetischen Prospektion. Neben den bis zu 6 m tiefen Gräben zeichnen sich im Bild auch vier – vermutlich nach astronomischen Gesichtspunkten ausgerichtete – Eingänge deutlich ab.

Foto: F. Sauer

Nachbau einer Kreisgrabenanlage mit nur einem Graben und zwei Eingängen. Für die Niederösterreichische Landesausstellung 2005 wurde in der Gemeinde Heldenberg neben mehreren jungsteinzeitlichen Häusern auch ein einfacher Kreisgraben nachgebaut. Beachtenswert ist der enorme Arbeitseinsatz, der für den Bau und die Instandhaltung selbst dieser kleinen Anlage vonnöten war.

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